Darf man ein Bild vom Flugzeugabsturz twittern – und retwittern?

Ja. Denke ich. Twitter ist ein Informationsmedium, ein schnelles dazu, wie man gestern wieder erleben durfte. Es war BreakingNewsOnline, die eine (nach ihren Angaben bestätigte) Meldung mit als erste herausgaben, es war Twitterer @patrick, der in einem Flugzeug in Schiphol saß und von dort als Augenzeuge twitterte und es waren Autofahrer auf der A9, die erste Bilder auf twitpic schickten. (Wie auch bei der Landung im Hudson River)

Jetzt geht in Deutschland (und auch anderswo) wieder einmal die Betroffenheitskiste los: Darf man das?

RT @stormgrass: Sending twitpics of plane crashes doesn’t have anything to do with the dissemination of news, it’s another form of voyeurism

Natürlich darf man das. Weil das ja auch Journalisten dürfen. Und wollten Blogger nich auch einmal eine (Gegen)-Öffentlichkeit sein? Machen wir den Überbringer der schlechten Nachricht zum Buhmann, weil wir nicht zugeben wollen, dass wir genau diese Bilder sehen wollen?

Es braucht eben keinen TV-Sender mehr, der den Pressesprecher von Schiphol versucht anzurufen, um einen Absturz von offiziöser Seite bestätigt zu bekommen, wenn jeder den Funkverkehr am Flughafen mithören kann (“We have an emergency. Don’t taxi”).

twitter_Schiphol

Was ist der Unterschied zwischen einem Kamerteam eines TV-Senders, das zum Unfallort rast und einem Passanten, der dort steht und ein Foto postet?

Es sind die so genannten journalistischen Standards. Die sagen letztlich, dass man sich respektvoll verhalten soll, vor allem keine Fotos von Toten und die Rettungsarbeiten nicht behindern.

Ich habe Bilder gesehen gestern von Twitterern, die von der Autobahn aus ein Bild gemacht haben. Ich habe auch Bilder gesehen im TV, wie man sehr nahe an Ermittler heranzoomte, die gerade Tote fotografierten.

Es scheint in Deutschland ein psychologisches Problem mit dem Thema Tod zu geben: Wann immer es um Bürgerjounalismus in Zusammenhang mit Unfällen geht, wird laut “Gaffer” geschrien (gerne auch von jenen, die beim Schreien den CNN-Live-Feed schauen). Sonst nicht. Verbreitung von Geschäftgeheimnissen (“Neues Macbook: erste Fotos”) – kein Problem. “Google spricht mit Twitter” (unbestätigt, @Ibo war die erste Quelle für das jüngste Gerücht, ich fands gut genug als solches zu retweeten) – munter diskutieren. Probleme die man gerade mit Kunden hat in der Öffentlichkeit diskutieren – macht doch Spaß die lächerich zu machen. Nur Unfälle, das ist Bäh. Ein Tabu. Vielleicht das letzte Tabu, und deshalb halten wir so daran fest.

Es ist ein Unterschied, ob Menschen ein Foto machen weil sie da sind oder ihr Auto mitten auf der Fahrbahn stehen lassen, um Bilder von Toten zu schießen. Diese würden auch kaum auf Twitter verbreitet werden – im Gegenteil, ich glaube auch hier an die Selbstregulierung, ein Sturm der Entrüstung würde zu recht losbrechen. Und das könnte sogar eher zu Konsequenzen (Bild löschen) führen als bei klassischen Medien.

Es geht hier auch keineswegs darum, dass Twitter die klassischen Medien ersetzen soll. Das ist Unsinn. Es geht um die Quellen. Die Bestätigung einer Nachricht im angelsächsischen Journalismus ist gegeben, wenn man eine zweite zuverlässige Quelle hat. In Deutschland wartet man entweder darauf, was die Agenturen melden oder aber auch eine offizielle Bekanntmachung. Wie sehr sich diese (Zahl der Toten) wiedersprechen können, haben wir gestern gesehen.

Wir alle haben heute technisch den Zugang zu den Quellen, haben Webcams, Funkverkehr, Webseiten von Feuerwehren (oder gar Tweets). Wir können uns damit in vielen Bereichen eher ein Bild machen. Es gab binnen einer halben Stunde 4000 Tweets zu Schiphol, natürlich vieles retweetet, aber dennoch Berichte wie der von Patrick oder anderer Menschen am Airport. Das sind genau so gute Quellen wie Richard Quest im Studio London, der allgemeines Bla Bla über Fliegen im Allgemeinen sagt.

Irgendwie mag man in Deutschland noch keine Grautöne. Entweder oder. Blogger gegen Journalisten. Podcasts gegen Radio. Twitter gegen Google. Das ist großer Schmarrn. Die Welt ist komplex, in deshalb müssen wir verstehen, das Entwicklungen wie das Internet sie noch komplexer machen, statt eine Vereinfachung zu fordern.

Wen wir jetzt sagen, die Berichterstattung über Flugzeugabstürze ist nur klassischen Medien vorbehalten, dann muss das letztlich auch für alle Bereiche gelten, Politik, Webwelt. Und dann sind wir wieder dort, wo wir vor 5 oder gar zehn Jahren waren.

Statt zu meckern über Bürgerjournalisten und was die alles anstellen könnten (erinnert mich an das böse Internet), sollten wir um Standards bemüht sein und denen auch die Finger klopfen, die sich nicht dran halten.

Bin ich im übrigen nur an meine journalistischen Standards gebunden, wenn ich in einer ordentlichen Redaktion sitze? Oder darf ich auch auf Twitter und in meinem Blog journalistisch tätig sein? Was ist der Unterschied, ob ich wie weiland bei der Frankfurter Neuen Presse mit der GLEICHEN Quellenlage eine Breakingnews rausschicke oder das heute als Freelancer über Twitter gebe?

One thought on “Darf man ein Bild vom Flugzeugabsturz twittern – und retwittern?”

  1. Das ganze darf man nur, wenn man das bild dann Fachgerecht als Leserreporter bein einer großen Zeitung einreicht. Auf dem eigenen Blog oder bei Twitter ist das absolut Tabu. Ist doch klar.
    Davon mal abgesehen halte ich das nicht besonders verwerflich solange, nicht die Opfer im Vordergrund stehen oder Leichen gezeigt, die Rettungsarbeiten usw. behindert werden. Bei einem kleinen Crash an der Kreuzung um der Ecke wo ein Fahrradfahrer umgefahren wurde, hat so eine Berichterstattung aber nicht unbedingt etwas zu suchen. Bei größeren Ereichnissen spricht nichts dagegen, wobei ich nicht weiß, wo da die Grenze zu ziehen ist.

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