Die alten Medien, die neuen Medien und Herr Schmid von der WELT

Lieber Thomas Schmid,
ich weiss ja nicht, welcher (Fehler)-Teufel Sie geritten hat, ob es die reine Verzweiflung ist, die Sie zu diesem Artikel getrieben hat oder schlicht Unkenntnis.

Es waren also Blogger und Twitterer, die nach Winnenden gefahren sind, sogar von der Raststätte berichtet haben. Es waren Krethi und Plethi, die Bilderserien en masse ins Netz stellten, die einen jungen Bub zum Aufmacher missbrauchten, der nur trauern wollte. Es war user generated content, der falsch meldete, dass es zwei Täter waren, der eine Festnahme meldete, wo noch keine war.

Herr Schmid, ihre besten Tage scheinen vorbei zu sein und nun sitzten sie erschrocken vor dem, was sie selbst angerichtet haben. Bekanntlich generieren Blogger und Twitterer eher wenig eigenes, sondern sind ein Echo. Sie verlinken auf Meldungen von Welt Online, Bild und Spiegel Online. Mal abgesehen davon, dass ohne diesen Suchtraffic ihre Seite kaum noch Werbung mehr haben würde: Sie schelten den Überbringer einer schlechten Nachricht, und nicht den, der sie geschrieben hat. Sie slebst nämlich.

Was wollen wir wetten, wer als erstes eine “Digitale Galerie” mit eben jenen Bildern von Tim K. aufmachen wird, steht der nächste Amoklauf an (der übrigens keiner war, aber das ist ja nur ein sprachliches Detail am Rande).

Ich erinner mich noch an ein Ereignis in Eppstein im Taunus, wo, ich glaube in den 70ern, ebenfalls jemand in eine Schule eingedrungen war und Menschen ums Leben kamen. Auch damals berichtete de Presse weltweit. Und das war gut so, denn dafür ist die Presse auch da,

Was Ihnen doch einfach nicht passt, ist, dass sie keine Kontrolle mehr haben und sich einer Kritik stellen müssen. Journalist sein heisst für Sie die Macht über Informationen zu haben, über dem gemeinen Volk zu stehen. Eine gefährliche Einstellung, die sie da haben. Schlimm, keine Privilegien mehr zu genießen, oder?

Ich persönlich finde es weniger erschreckend, dass Menschen Nachrichten selbst in die Hand nehmen und verbreiten. Ich finde es erschreckend, dass nach dem Ende zweier totalitärer Deutschlands noch immer Menschen in deutschen Medien Kontrolle predigen.

Und zum Schluss noch ein wenig über ihre Fachkompetenz. Schauen Sie sich mal die Bildergalerie an. Da zeigen sie ein Kinderbild – wenig aussagekräftig, wenn der Täter 17 war. Aber man nimmt halt was man kriegt (oder dpa liefert. Wahre Fachleute hätten sich ein neues Bild besorgt). Ähnliches gilt für das Tischtennisbild, bei dem ich mich frage, ob dpa wirklich die Rechte hatte.
Schauen wir uns dann den Screenshot an: Eine umstrittene Variente, das Thema Bildrecht zu umgehen – sie versuchen es per Bildzitat, ohne aber die zitierte Seite zu nennen. Das also ist professionell?
Bild 5, ein Luftbild von AP, offensichtlich aus einen Hubschrauber aufgenommen. Dem von Herrn Krethi?
Bild 9 zeigt Polizisten, die eine Leiche bergen. Im WELT-deutsch heist das: “Eine Leiche barg die Polizei aus einem Park nahe der Schule.” Yoda?

Bild 11 mit einer sensationellen Unterschrift: “Polizeibeamte halfen bei den Arbeiten am Tatort.” Macht die Tochter von Frau Plethi gerade ihr Schulpraktikum bei Ihnen?
Bild 24: ” Welche Szenen sich in der Schule abgespielt haben müssen, zeigten die benutzten Handschuhe der Sanitäter.” Naja, wenn soviele Menschen erschossen werden, dass darf doch mal ein Handschuh voller Blut sein, oder? Deswegen haben Sanitäter, die übrigens seit 10 Jahren schon Rettungsassistenten heißen, Handschuhe an. “Blut ist ihr Geschäft”, um es in Ihrer Sprache zu sagen.

Bild 25: “In der Nähe des Schulzentrums standen Menschen, denen ihre Verzweiflung anzusehen ist.” Auch diese Menschen haben sicherlich ihr Einverständnis zum Bild gegeben und waren in der Situation auch in der Lage, das zu tun.

Wie die meisten Bildstrecken dient auch diese nicht der Information, sondern sie wollen Klicks haben. Und zwar viele Klicks, und deshalb werden nicht mehr die besten Bilder genommen, sondern fast alle. Weil es sie einen Scheissdreck interessiert, was der Leser will oder gar wie es um die Menschen in Winnenden bestellt ist.

So Herr Schmid, und nach soviel Schimpferei Versöhnliches. Ich war selbst Onliner und bin Blogger. Ich kenne das, wenn man keine Zeit hat und schnell mal was schreiben muss ohne nachdenken zu können. Ich nehme an, dass ist der Grund für Ihren Artikel. Sie wollten quasi Twittern und mal schnell was verbreiten, oder?

5 thoughts on “Die alten Medien, die neuen Medien und Herr Schmid von der WELT”

  1. Bleibt zu hoffen der unsägliche Herr Schmid diesen Artikel wenigstens liest, ob’s dann was hilft.. naja.

    Vermutl. ist die Passage aus dem letzten Absatz wahr: Er weiß im Inneren schon dass das stimmt was du hier schreibst, aber zugeben oder eingestehen, sowas steht auf einem andern Blatt.

    Ciao,
    Robert

    twitter: @robkrueger

  2. hallo Thomas,
    dieses ganze amoklauf-thema werde ich nicht los. und so bin ich auf dein blog gestoßen und habe den abschiedsbrief von resistentx gelesen. und vorher auch seine eigenen einträge. basicthinking verlinkt ja dahin.
    ich bin entsetzt. alles wiederholt sich. wie immer. das ist nicht neu. und wir können uns einfach nicht mehr auf die menschen, die uns regieren verlassen. vielleicht konnten wir das nie. aber wir haben jetzt ein mächtiges mittel zur hand. das internet. aber jeder nutzt es nur für sich. was meinst du dazu?

  3. nun ja, abgesehen davon, dass uns alles um uns herum von der beschäftigung mit uns selbst ablenken will. ja, arbeiten und dann schön die rente genießen. und das eigentlich nur zur bereicherung einiger weniger. die erdenbewohner sind die unternehmen, nicht die menschen. und die kanäle der unternehmen sind die medien. wir sind umzingelt von schlechten nachrichten und ich bin absolut überzeugt, dass diese sich auf unser denken auswirken.
    ich befürchte… wir sind in der zeit des umbruchs. wir sind am hochpunkt angekommen, mehr ist nicht drin.

  4. Ähnliches gilt für das Tischtennisbild, bei dem ich mich frage, ob dpa wirklich die Rechte hatte. Um die Frage zu beantworten: dpa hatte die Rechte.
    (Disclaimer: Ich bin der Sprecher der dpa)

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