Ein vietnamesisches Mädchen namens Quyen

Sie ist ein junges aufgewecktes Mädchen, gerade mal 19 Jahre alt. Seit 10 Jahren, sagt sie, hat sie in der Schule englisch. Sprechen kann nur ein wenig, schreiben gar nicht. Sie geht wieder in die Schule und lernt Englisch, um später dann Accounting zu studieren, weil Zahlen ihr Spass machen. Dafür braucht sie Geld, und das muss sie erst mal verdienen.

Quyen ist ein gutes Beispiel, in welcher Lage sich Mädchen in Vietnam, aber auch anderen südostasiatischen Ländern befinden. Morgens von 8 bis 9 hat sie Englischunterricht. Dann muss sie nach Hause, das Haus putzen, einkaufen, kochen. Sie ist die Tochter, also fallen hauswirtschaftliche Arbeiten auf sie zurück. Ihre Mutter ist sich zu fein dafür, obwohl sie keinen Job hat. Ihr Vater ist oft weg, eigentlich kaum zu Hause. Wenn er mal heimkommt, schlägt er seine Frau. Deswegen flüchtet das Mädchen oft zu ihrem Großvater: Sie hilft ihm im Haushalt, dafür bietet er einen sicheren Platz.

Wenn sie mit ihrer Hausarbeit fertig ist, macht sie sich auf den Weg zu dem Job, der ihr etwas Geld einbringt: Sie verkauft Aufkleber, Sticker. Von 17 Uhr bis 22 Uhr abends sitzt sie vor einem Supermarkt im Chinesenviertel Cholon. Auf dem Boden, einen Tisch hat sich nicht. Das hat einen schlichten Grund: Ihr kleines Geschäft mit Aufklebern ist illegal, und ohne Tisch kann sie schneller flüchten, wenn die Polizei kommt. Neulich war sie nicht schnell genug und die Polizei konfiszierte ihre Aufkleber und sie musste 500.000 Dong Strafe zahlen. Das ist eine Menge, sie macht etwa 200.000-300.000 Umsatz. Der Profit ist etwa 25 Prozent, also 50.000 Dong am Tag. Das reicht für zwei Mahlzeiten, und einen Kaffee. Sparen kann sie kaum, deswegen muss sie sich Geld leihen, wenn sie studieren will. Ihr Vater brauchte neulich Geld und hat ihr Motobike verkauft. Jetzt muss sie Bus fahren, was zwar günstig ist, in einer Stadt die täglich unter dem Verkehr zusammenbricht aber ein nicht zu kalkulierender Zeitfaktor.

Ist sie glücklich? “Ja”, sagt sie, “ich mag meine Arbeit, Es macht mir Spaß zu verkaufen.” Deshalb will sie später auch Buchhaltung studieren. Nach deutschen Maßstäben ist das ein Crashkurs, der hier aber drei Jahre dauert und 200 Dollar pro Jahr kostet (etwa 4 Millionen Dong).

Junge Menschen in Saigon sind in einer Falle, aus der sie kaum herauskommen. Hat die Familie nicht genügend Geld, bleibt von Verdienst kaum etwas übrig, um die Kinder weiterzubilden. Dazu kommen die strengen Familienregeln: Mädchen dürfen nicht alleine weg gehen, aber auch den 20-jährigen Männern wird schon mal untersagt nach 22 Uhr heimzukommen. Die Familie ist alles, weil sie im traditionellen Vietnam auch das soziale Netz darstellt. Eine Freundin von Quyen entliess sich selbst neulich aus dem Krankenhaus, weil sie schlicht kein Geld mehr hatte. Eine andere Freudin musste ihr Moped verkaufen, um die Krankenhausrechnung zu bezahlen, was bedeutete dass sie ihren Job verlor, weil sie nicht mehr den weiten Weg zur Arbeitsstätte zurücklegen konnte (eine Busverbindung gibt es dort nicht).

Wenn Quyen in eine Polizeikontrolle kommt, wirft das ihr Business um Wochen zurück. Ein richtiges Geschäft kann sie sich nicht leisten. Die Stadtverwaltung in Ho Chi Minh City hatte gerade beschlossen, Straßenstände, die Lebensmittel verkaufen, zu verbieten, um die Lebensmittelsicheriet zu erhöhen. Das Problem: Auch diese Händler können sich einen Stand in einem der Märkte nicht leisten und – ebenso wichtig – sie verkaufen ihre Waren zu einem Preis, den sich arme Menschen leisten können. Sind die Straßenhändler weg, haben die Armen nichtz zu kaufen. Und so lebt Quyen zusammen mit tausenden Straßenhändlern immer in der Ungewissheit was der nächste Tag bringt. Und der Gewissheit, dass ihre Chancen sehr gering sind, da herauszukommen.