Wenn Lokalzeitungen nur noch Agenturmeldungen bringen

Das Szenario: Ein Bus besetzt mit 9 Jugendlichen kommt am frühen Nachmittag in einer Kurve von der Spur ab und kracht auf der Gegenfahrbahn gegen einen Geldtransporter. Bei dem Aufprall werden der Fahrer und der Beifahrer des Transporters getötet, ein weiterer Insasse schwer verletzt. Auch der Fahrer des Busses wird verletzt, mehrere Jugendliche leichtverletzt. Der Unfall passiert in einem Bereich, der bekannt ist für schwere Unfälle. Geldscheine lagen an der Unfallstelle verstreut.

Das Szenario hat alles was man für eine gute Story braucht. Ungewöhnliches (Bus gegen Geldtransporter), Emotionales (Jugendliche verletzt), Dramatisches (viele Verletzte), Absurdes (Geldscheine auf der Fahrbahn), Empörendes (schon viele Unfälle passiert). EIn Klassiker für die lokale und regionale Berichterstattung.

Die Geschichte ist gestern in meiner Heimatstadt passiert, und ich wollte heute wissen, was los war. Auf n-tv war eine große Geschichte zu lesen, die Rundschau hatte fast in Echtzeit berichtet. Und dann gibt es noch das Blatt, bei dem ich einst in der Onlineredaktion war, die FNP. Die hat den besten Polizeireporter in der Region, und der sollte eigentlich am meisten Informationen liefern. Vielleicht hat er das auch, nur lesen konnte ich davon nicht. Auf der Startseite werden Feldhamster gefeatured, aber nicht der Unfall.
Das war alles was ich unter Lokales fand:

Königstein. Bei einem Verkehrsunfall in Königstein (Hochtaunuskreis) sind am Dienstagnachmittag zwei Männer ums Leben gekommen. Wie ein Polizeisprecher sagte, fuhr gegen 15.20 Uhr ein Linienbus auf der Bundesstraße B 8 in Richtung Glashütten in einer scharfen Rechtskurve auf die Fahrbahn des Gegenverkehrs. Dabei stieß er mit einem Geldtransporter zusammen, in dem drei Männer saßen. Zwei von ihnen starben, einer kam mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus. Fünf oder sechs der etwa zehn Businsassen verletzten sich nach ersten Erkenntnissen der Polizei leicht. Warum der Bus bei Regen auf die Gegenfahrbahn geriet, war bis zum frühen Abend unklar. Die Strecke war für den Verkehr stundenlang gesperrt.

Die Homepage der Taunus-Zeitung, die Lokalausgabe der FNP in deren Beritt der Unfall geschah, hat folgende Themen heute auf der Startseite:
Eine Gerichtsreportage über ein Unfallopfer (!)
“Wir suchen den besten Kurzkrimi”
Bahnfahren wird teurer
Feldhamster vom Aussterben bedroht
Cello Festival ein voller Erfolg
Schuldenberg in Steinbach wächst weiter
Eine Kloreportage

Den Unfall finde ich ganz unten als Linkzeile, die wieder zum oben zitierten Artikel führt.

Nun soll der Unfall nur mal als aktuelles Beispiel stehen, und ich habe auch wenig Lust hier über Sensationsgier zu diskutieren, es geht mir um die journalistische Arbeit.

Wie kann es angehen, dass man bei lokalen Ereignissen Symbolbilder (hier ein Blaulicht) verwendet statt eigene Bilder, die man doch haben muss. Warum werden bei lokalen Ereignissen Agenturtexte verwendet, statt eigene Berichte. Warum sehe ich Bildergalerien über Waldbrände in Kalifornien, aber nicht Geldscheine auf der Fahrbahn?

Was der FNP passiert ist geschieht in vielen Printhäusern. Es wird nicht mehr journalistisch gearbeitet. Man füllt Content auf. Ich selbst habe im wesentlichen Copy und Paste gemacht, auch weil ich alleine war. Heute sitzen da aber zwei Leute. Und ich hatte – so ich von einem ungewöhnlichen lokalen Ereigniss erfuhr – auch immer gleich versucht, eigene Informationen zu bekommen.

Es mag an dem Tag was schiefgelaufen zu sein bei der FNP, das kann passieren. Man hat aber gleichermaßen ein gutes Beispiel dafür produziert, wie man online nicht arbeiten sollte und wie man sicher nicht dem Zeitungssterben wirksam begegnen kann. Onlineredaktionen produzieren zu viel Schnickschnack um die Nachrichten herum. Information zuerst, dann gerne einen Blogbeitrag, ein Tweet, ein Gewinnspiel, ein “die besten XXX der Region, und aktuelle Videos die man ohnehin nicht selbst gedreht hat.

Redakteure sagen gerne sie seien nicht eingestellt um die Zeitung selbst vollzuschreiben. Das ist zum einen falsch, siehe Lokalredationen. Zum anderen ist das aber auch gefährlich. Wenn man nur noch Agenturen kopiert, dann stellt sich bald die Frage, was diese Redakteure da eigentlich machen. Redigieren? Ich lache laut auf. So schlecht sind Agenturtexte auch nicht. Auswählen? Nochmal lachen. Die Vielfalt der Stories deutsche Tageszeitungen hält sich deutlich in Grenzen.

Gerade weil die Agenturmeldungen so beliebig sind und alle sie haben, wollen wir tiefergehende Informationen zu einer Geschichte haben. Aber nicht Blabla und ein wenig Glitter auf die Verpackung.

(Ich freue mich über Erklärungen, was da schief gelaufen ist. Eine Erklärung mag sein, dass ich das hier schreibe wenn es in Deutschland etwa 2 Uhr ist. Es mag sein dass die Artikel der heutigen Printausgabe erst später ins Onlinesystem laufen. Nur kann es doch nicht sein, dass man in der Onlineredaktion auf die Printausgabe wartet, zumal wenn die Geschichte ja nachmittags zuvor passiert ist.)

UPDATE: Wie vermutet hat man in der Nacht nachgelegt. Am Nachmittag meiner Zeit war ein Foto auf der Seite.

7 thoughts on “Wenn Lokalzeitungen nur noch Agenturmeldungen bringen”

  1. Die Zeitungen haben noch nicht kapiert, dass das wichtigste was sie haben selbst generierter Content ist. Nur originales wird sich in Zukunft verkaufen können, wenn ich mir meine Zeitung selbst zusammen stelle (Stichwort RSS).

    Eines der besten Beispiele ist vielleicht die Zeitung aus der Region aus der ich komme. Die Pirmasenser Zeitung (http://www.pirmasenser-zeitung.de/) versteckt mittlerweile alle Inhalte hinter einer Paywall, doch wenn man weiß wie die Artikel aufbereitet sind (Absätze und sonstige Typographie unbekannt. Bilder in miesester Auflösung), lohnt sich es nicht dafür zu zahlen.

    Gerade die kleinen Zeitungen können sich doch so unterscheiden, es ist mir unerklärlich wie man das nicht verstehen kann.

  2. Tja, was sollen sie machen, die beiden Online-Redakteure? Geil, zwei ganze Redakteure für ein Winz-Gebiet zwischen Limburg und Darmstadt. Jetzt mischen wir da alles auf! Einer hat Frühdienst und noch einen Volo zu beaufsichtigen und der andere kommt zum Spätdienst. Rausfahren, Volo rausschicken? Völliger Quatsch! Er hat natürlich Bilder bekommen von seinem Katastrophenfotografen und die Polizei angerufen. Dann hat er diese Bilder und Infos verwendet, um eine Meldung zu schreiben. Das dauert nun mal seine Zeit, wenn man gleichzeitig noch andere kleine Katastrophen der sechs übrigen Portale zu handeln hat. Schließlich stand ein eigener Artikel online – jaaaaa, das ist das Blut, von dem wir leben. Und nur das. Eigener Content. Und für umme. Später gab’s noch ne Ergänzung vom Printkollegen. That’s it. Das ist das täglich Brot der üppig ausgestatteten Onliner. Mehr zu erwarten ist schön, noch mehr zu liefern wäre noch besser – aber vor allem mal was mit Online zu verdienen, wäre am besten. Aber das juckt die, die nur aus der Ferne rumkritteln, herzlich wenig.

  3. Michael, ich glaube Du hast das was falsch verstanden: Zum einen dauerte dieser Text nicht “seine Zeit” sondern über 24 Stunden. Dann kann ich es auch gleich lassen online. Ausserdem war das Foto einfach nur schlecht, zeigte nicht die Story, sondern ein Autowrack. Und keiner erwartet, dass die beiden alles machen oder gar rausfahren. Die Kunst eines Redakteurs ist es eben, das Wesentliche herauszufischen und das Besondere. Ich habe genau diesen Job alleine gemacht, aber ich habe mich als Journalist verstanden und nicht als Klickstrecken- und Heidideilieferant.
    Was das Geld verdienen betrifft: Dann frag erstens mal bei Rhein-Main-Media nach ob die sich immer noch wehren, Online zu verkaufen (haben sie nämlich, weil sie weniger Geld dafuer bekamen und dafuer aber kreativer sein mussten). Ausserdem hat der Verlag überhaupt keine Strategie entwickelt, online Geld zu verdienen. Und letztlich verdient er sogar Geld, unter anderem mit Contentverkauf.
    Es sind die Verlage und Entscheider, die oftmals unfähig sind, online überhaupt zu verstehen, und deshalb entweder Geld verbrennen (FAZ) oder aber halbherzig investieren. Der Leiter der Onlineredaktion der FNP hat seinen Job bekommen, weil er als Redakteur sich für Computer interessierte.
    Zeitungen wie die FNP profitieren vom guten Gesundheitssystem: JE gesünder die Leser desto länger leben sie, und die FNP Leser müssen länger leben, um die Zeitung noch aufrecht zu halten.

  4. Auch wenn ich Dich jetzt nicht beleidigen will: Aber Du bist schon ein ziemlicher Schwätzer und Besserwisser. Wir beide haben beim selben Arbeitgeber gearbeitet, und da weiß ich, so ganz zufällig, dass Dich eben dieser Leiter der Online-Redaktion geholt hat, weil Du Interesse für Internet und PC hattest. Mehr konnte man nämlich damals gar nicht haben, weil das Medium noch so jung war – also, was Du forderst, kann es damals gar nciht gegeben haben. Der Peter hatte sich damals schon seit Jahren mit Compuserve, BTX und Co. beschäftigt, da hast Du noch rund um Dein Königsteiner Anzeigeblatt geschrieben. Ja, Du bist ein echter Held, so stellst Du Dich gerne da. Aber wo hast Du selbst es jemals besser gemacht als die, die Du gerne mit Deinem Stammtischgeschreibsel in Grund und Boden rammen willst?

    Zeig, dass Du’s besser kannst: Peters Job wird gerade frei. Aber so wie Du Dich damals verabschiedet hast bei der FNP, das hat man da nicht vergessen!

    Nein – meinen Namen werd ich nicht nennen, weil Du es so gut verstehst, einen internetweit rund zu machen, so, wie Du das immer gern mit dem Itt gemacht hast.

  5. Holla, da fühlt sich aber wer auf den Schlips getreten. Naja, niemand muss heir seinen Namen nennen, der geneigte Leser weiss das schon einzuordnen.

    Ich habe im übrigen beim Anzeigenblatt dieses damals schon online gebracht. Und andere mitgegründet. Durchaus erfolgreiche übrigens. Sie nährten lange Zeit sogar die Taunus-Zeitung. (wenn nicht sogar heute noch).

    Und ich nenne hier keine Namen, wenn es nicht um Personen geht, merkwürdigerweise machen das dann aber Kommentatoren und werfen mir genau das dann vor. Dieses Blog hat Journalismus zum Thema, und gerade auch die Auseinandersetzung zwischen Online und Offline. Und wenn ich ein gutes Beispiel finde, warum sollte ich es nicht nennen?

    Und danke, ich fühle mich wohl in Vietnam.

  6. Ich lese die Ãœberschrift:

    “Wenn Lokalzeitungen nur noch Agenturmeldungen bringen”

    Also erstens handelt es sich bei der verlinkten Domain um den Onlineauftritt einer Tageszeitung – und nicht um die gedruckte Zeitung selbst – und zweitens finde ich da sehr wohl ganz ganz viele Lokalmeldungen, die nicht von Agenturen sind.

    Wie muss ich die Überschrift also versthen? Ich ziehe, wie es der Blogger hier gerne selbst und oft tut, einfach mal selbst meine Schlüsse:

    Die Überschrift ist einfach nur eine der üblichen, typischen journalistischen Übertreibungen. Nicht seriös.

  7. 1. Werden journalistisch andere Maßstäbe für den Online-Auftritt angelegt als für Print?
    2. Ich habe nicht gesagt dass Lokalzeitungen nur Agenturmeldungen verwenden, sondern darauf hingewiesen, dass ich einen Trend sehe. Wenn ein lokaler Unfall nicht von den eigenen Leuten beschrieben wird, sondern von der Agentur, dann hat die Lokalzeitung versagt. Online hin oder her.
    3. Ich finde es sehr amüsant, dass hier mit keinem Wort auf den Artikel selbst und seine Bearbeitung eingegangen wird, sondern man den Überbringer der schlechten Nachricht verantwortlich macht. Dass wiederum war bei der FNP oft so.

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