Qualitätsjournalismus: Boocompany wird beim Handelsblatt fündig, Plazeboalarm bei der FAZ/dpa

Boocompany (kein Medienunternehmen, ein Blog) schaut sich das Handelsblatt (Printzeitung, old Journalismus) an und wird prompt fündig:

Das Handelsblatt berichtet heute über das einstmals als Wunderpille angekündigte Medikament “Acomplia”, mit dem Sanofi-Aventis Milliardenumsätze anpeilt. Ein Herr Andreas Pfeiffer kommt in dem Artikel mehrfach zu Wort: “[…] dann ist Acomplia eine sehr viel versprechende therapeutische Option, so Pfeiffer. Aber wer ist eigentlich Andreas Pfeiffer?
Erst nachdem Herr Pfeiffer in dem Artikel bereits zweimal zitiert wurde, kommt die scheinbare Auflösung des Rätsels: Er ist Ernährungsmediziner von der Berliner Charité.
Aber das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Soll der Handelsblatt-Leser doch selber recherchieren.
Na denn: Der Herr Professor Andreas Pfeiffer hat je nach Quelle die in Deutschland von Sanofi-Aventis finanzierte und durchgeführte Acomplia-Studie koordiniert, durchgeführt oder betreut. Dafür hat er vermutlich eine sehr beachtliche Stange Geld von Sanofi-Aventis erhalten.

Einzelfall? Nö. auch dpa ist bei sowas nicht eben zimperlich, wenn es um Studien und Genauigkeit geht. Dafür haben wir die Seite Plazeboalarm.de

Die haben sich die FAZ angeschaut, die wiederum – wie die meisten Medien – nur Agenturberichte umrühren, aufwärmen und dann als Selbstgekocht auf den Tisch stellen.

In einem Artikel in der Fachzeitschrift The Lancet berichten Forscher darüber, dass selektive-Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), eine wichtige Gruppe von Antidepressiva, den Samenerguss von unter einer Minute auf über drei Minuten herauszögern können.

Dieser Artikel wird dann von dpa übernommen.

In dem F.A.Z./dpa-Artikel ist die eigentliche Meldung, dass SSRI den Samenerguss herauszögern können. Das ist aber gar nichts Neues. Im New Scientist-Artikel erfährt man, dass andere SSRI den Orgasmus sogar weiter herauszögern als das getestete Mittel

Und schließlich: Was im F.A.Z./dpa-Artikel völlig fehlt ist der Hinweis, auf den man nur kommt, wenn man statt der deutschen Zusammenfassung einen Blick auf das Original-Paper wirft (an das man als Journalist leicht kommt).
Dort geben die Autoren nämlich am Ende des Artikels ihre “conflicting interests” an, also ihre Interessenskonflikte, die das Ergebnis der Studie beeinflussen könnten.
Dort erfährt man, dass die Autoren alle irgendwie mit der Pharmafirma ALZA verbandelt sind, einer Johnson & Johnson-Tochter. Entweder sind sie Angestellte oder Stipendien-Empfänger oder im Berater-Gremium von ALZA, oder Berater von Johnson & Johnson.

Also: djv und andere, immer schön locker bleiben, wenn es um die Blogger-Schimpfe geht. Man bekommt nämlich gerade den Eindruck, als ob manche Journalistenvertreter in einer Welt leben, in der es keine PR gibt, in der sie täglich den Bundeskanzler stürzen und die Anzeigenkunden darum betteln, ihre Produkte gegen gang viel Geld bewerben zu dürfen.