Aus dem Archiv: Meine Geschichte über Scientology

Erschienen 1998 in der Frankfurter Neuen Presse

Es gab seitens Scientology keine Beschwerden, Abmahnungen oder ähnliches gegen den Artikel.

Von Thomas Wanhoff
Frankfurt. Auf den ersten Blick scheint Martin K. ein erfolgreicher
Geschäftsmann zu sein. Er fährt schnelle Autos, liebt das schöne Leben.
Als Kommunikations- und Unternehmensberater gehört er zu den
Unternehmern, die zur Zeit gefragt sind. Doch K.s Firma AMK, die
Akademie für Marketing und Kommunikation, ist ein Unternehmen, das zum
Verbund der Scientologykirche gehört. Nur sagt das K. nicht gern
öffentlich. Bald wird er aber Stellung nehmen müssen, denn die
Steuerfahndung interessiert sich für die Akademie.

Der Geschäftsführer steht seit 1993 praktisch mit dem Rücken zur Wand:
Hat er bislang nur Rechnungen nicht bezahlt, die sich auf eher weltliche
Dinge beziehen (Mieten, Gehälter, Steuern, Versicherungen), so schuldet
er anderen Scientologen knapp 1 600 000 Mark. Das mögen die obersten
Herren der Organisation nicht, sie sollen den Schuldner schon intern
zurückgestuft haben, wie die Recherchen der Kronberger
Wirtschaftsdetektei “Timeservice” ergeben haben.

Die Masche der AMK ist immer gleich. Es beginnt mit einem Seminar. Die
Persönlichkeit stärken, lernen, sich im Beruf durchzusetzen – wer will
das nicht? Vielen ergeht es wie der Sekretärin Susanne R. Die
Mitarbeiterin eines großen Unternehmens aus dem Rhein-Main-Gebiet
meldete sich ganz unverbindlich bei der AMK, der Akademie für Marketing
und Kommunikation, an. Gleich zu Beginn füllte sie den Testbogen aus –
der beinhaltete immerhin Fragen wie “Was fehlt der (Ihrer) Firma Ihrer
Meinung nach?” und: “Haben Sie das Gefühl, daß ihre Firma eine
Managementberatung braucht?” Wie sehr dies dazu dient, neue
Geschäftsfelder auszumachen, wird schnell klar. Susanne R. beantwortete
die Frage, wem sie ein Seminar empfehlen würde mit: “Mein einer Chef
wäre gut, denn er hat Stapel unerledigter Arbeit”. Mittlerweile ist die
Sekretärin eine prominente Scientologin, wirbt mit einer eigenen
Homepage für ihren “Glauben”.

Susanne R. ist kein Einzelfall. Bei der AMK, die ihre Geschäftsräume
zunächst in Eschborn hatte und jetzt in Rauenberg sitzt, gingen Hunderte
Kursteilnehmer durch eine scientologische Schulung. So auch Mitarbeiter
des Frankfurter Polizeipräsidiums, des Eisenbahnbundesamtes und großer
Firmen im Rhein-Main-Gebiet. Manche bemerkten es erst spät, was ihnen da
erzählt wird und klagten mit Erfolg auf Rückerstattung der
Seminargebühren.

Mit den eigenen Mitarbeitern wird bei der AMK wenig freundlich
umgegangen. Interne Aufzeichnungen belegen, daß die Mitarbeiterin für
Öffentlichkeitsarbeit nur wenige Hundert Mark im Monat verdient. Doch
wer ausschert, bekommt es mit der scientology-eigenen Macht zu tun, wie
die Wirtschaftsdetektei Timeservice festgestellt hat. “Versuchen, sie
über Ethik zur Vernunft zu bringen, wenn das nicht geht – Prozeß”, lesen
sich interne Vermerke an die OSA, den Sicherheitsdienst der
Organisation. Wie diese Ethik aussieht, beschrieben Aussteiger so: Sie
werden per Flugzeug nach England geschickt, im Scientology-Straflager
Saint Hill in England oder einem in Kalifornien müssen sie unter
Erniedrigungen lernen, wieder auf Linie zu kommen.

Den Behörden ist Scientology schon lange eine Beobachtung durch den
Verfassungsschutz wert. “Auch wenn die Organisation von ihrem Ziel,
einem “befreiten” Planeten unter Kontrolle von Scientologen, noch
denkbar weit entfernt ist, besteht angesichts ihrer fanatischen
Heilsideologie, ihres elitären Sendungsbewußtseins und nicht zuletzt
aufgrund der von ihrem Geheimdienst erreichten Erfolge kein Anlaß,
Scientology zu unterschätzen. “Solange wir schwer zu fassen sind
beziehungsweise fabianisch arbeiten”, so Hubbard 1967, “werden wir
stärker und stärker”. Mit “fabianisch” meint er, daß nach den
Verwaltungsrichtlinien von Scientology agiert wird. Seine Prophezeiung
hat sich bewahrheitet und sollte heute als Warnung dienen”, schreibt der
Verfassungsschutz Hamburg in einem Bericht.

Hubbard, der Gründer der Scientology Church, war clever genug, sich
abzusichern. Er baute eine fast perfekte Gelddruckmaschine: Die Church,
die für einen nie versiegenden Strom an Gläubigen (und Zahlenden) sorgt,
die Organisation WISE, ein Wirtschaftsunternehmen, das im
Franchisesystem die Verwaltungsideologie von Scientology unter die Leute
bringt und schließlich OSA und DSA, eine Art Stasi, die schaut, ob die
Schäfchen auch brav ihrem Führer folgen.

Die Art und Weise, wie sich Scientology finanziert, gleicht dem Prinzip
des Goldesels: Wer sich Mitglied nennen darf, muß versuchen, den Weg
über die Brücke zu gehen. Die Brücke sind die verschiedenen Stufen, zur
“Erleuchtung” zu kommen, und dieser Weg ist mit Dollarscheinen
gepflastert. Da muß ein E-Meter gekauft werden, eine Art Lügendetektor,
auch die Hubbardbücher gibt es nicht umsonst, und schließlich warten
zahllose sogenannte Auditings auf die Mitglieder. In diesen –
kostenpflichtigen – Sitzungen müssen die Scientologen ihr Seelenleben
offenbaren – oft über mehrere Stunden lang. Dieses Auditing geht soweit,
daß sich Scientologen selbst befragen – und dafür Geld bezahlen.

Geworben wird ganz offen. Die Frankfurter Org – so nennen sich die
lokalen Ableger – ist tagsüber ein sehr belebter Ort. Vor dem Haus in
einer Nebenstraße der Kaiserstraße stehen bis zu fünf Anwerber, die
Passanten ansprechen. Wer Interesse an einem Persönlichkeitstest zeigt,
wird gleich zur Stahltür mit Überwachungskamera gebracht. Die Lettern
“Scientology Church” sind nicht zu übersehen, und trotzdem gehen viele
rein – Jugendliche wie Rentner.

Über die Mitgliederzahlen streiten die Experten. Währen der hessische
Innenminister Gerhard Bökel von “rund 500 Scientologen in Hessen”
spricht, wollen Kritiker – wie die Wirtschaftsdetektei Timeservice – von
mehreren Tausend wissen. Dagegen meint Jeanette Schweitzer, eine
Ex-Scientologin, es habe nie “mehr als 4000 Scientologen” gegeben.
Eigentlich müßte sie es wissen: Sie war jahrelang Mitglied. Jetzt
versucht sie, mit einem Verein Aufklärung zu machen – gegen Bares
allerdings. Wer ihre Vorträge hört, ist erschüttert von ihren
Erzählungen. Sie ist verfolgt, gedemütigt, gepeinigt worden. Aber: Auch
sie ist nicht unumstritten. Kritiker werfen ihr vor, “Kasse machen zu
wollen”. Ihr eigener Vereinsvorstand ist aus Protest zurückgetreten,
weil Schweitzer “eine diktatorische Vereinsführung” habe, wie ein Brief
der Vorstandsmitglieder belegt.

Die prominente Aussteigerin beeindruckt derweil mit Insiderwissen, das
so neu nicht mehr ist. Ihre angeblich aktuellen Daten sind zum Teil
überholt: So existieren manche angeblich scientologischen Firmen gar
nicht mehr, wie die Detektive von Timeservice feststellten. So macht
nicht nur Scientology Geld, auch mit Scientology kann Geld gemacht
werden. Datenbankauskünfte über angebliche Scientologen oder Firmen
kosten um die 300 Mark, wie gut diese Datenbänke sind, ist schwer
nachzuprüfen.

Die Angst geht nun um bei den Scientologen: Entdeckt man bei Martin K.
und seiner Firma AMK Unregelmäßigkeiten, dann muß man ihn versuchen zu
decken, funktioniert dieses nicht, wird er fallengelassen. Denn selbst
in der Organisation ist nicht alles erlaubt, was Erfolg bringt und schon
gar nicht, wenn es an die Öffentlichkeit kommt. Hat K. aber keine
Rückendeckung mehr von den eigenen Leuten, dann könnte der
Geschäftsführer, der bis vor kurzem in Königstein im Taunus lebte und
als einer der größten Spendensammler für Scientology gilt, auspacken.
Und davor fürchtet sich sogar die große Scientology Church.

Wer mehr Infos über Scientology haben möchte, kann sich im Internet
informieren:
— www.redo.de
— www.hamburg.de/Behoerden/LfV/ so.htm
— www.charlies-playhouse.ch/ scientology
— www.innenministerium.bayern.de/ scientology/

Ein Kartell der Unterdrückung

Frankfurt. Vom amerikanischen Science-Fiction-Autor L. Ron Hubbard
(1911-1986) im Jahre 1954 gegründet, ist die Scientology Church in den
Vereinigten Staaten seit 1993 als Religionsgemeinschaft anerkannt. In
Deutschland hingegen gilt die Organisation in Kritikerkreisen als
profitorientiertes Unternehmen, das unter dem Verdacht
verfassungsfeindlicher Zielsetzungen steht. Gibt es doch nach Angaben
von Innenminister Manfred Kanther (CDU) Hinweise darauf, daß Scientology
in absolutistischer Weise Zugriff auf Staat und Gesellschaft nehmen
wolle.

So urteilte das Bundesarbeitsgericht Kassel, die Scientology sei ein
Wirtschaftsunternehmen und keine Kirche. Das Oberverwaltungsgericht
Münster entschied, die Gruppierung dürfe als “menschenverachtendes
Kartell der Unterdrückung” – das seine Mitglieder einer “Gehirnwäsche”
unterziehe – bezeichnet werden. Und eine Enquete-Kommission des
deutschen Bundestages betonte nach eingehender Recherche, die
Scientology sei eine der gefährlichsten international tätigen Sekten.
Nicht ganz unerwartet kam daher im Juni 1997 die Einigung der
Innenminister des Bundes und der Länder, die Organisation von den Ämtern
des Verfassungsschutzes beobachten zu lassen.

Nach Erkenntnissen des Hamburger Verfassungsschutzes verfügt Scientology
offenbar über einen eigenen Geheimdienst, der abtrünnige Mitglieder und
potentielle Gegner ausspioniere: das 1983 gegründete “Office of Special
Affairs” (OSA). Weiterhin bezeichnen die Hamburger Verfassungsschützer
Scientology als einen “multinationalen, streng hierarchisch aufgebauten
und totalitär ausgerichteten Psycho-Konzern”. Dieser gebrauche in der
Öffentlichkeit eine religiöse Terminologie, um den Schutz der
verfassungsrechtlichen Garantien für Religionsgemeinschaften und weitere
steuerrechtliche Vorteile zu erlangen.