Eigentlich, so zeigen es die Marktdaten, geht die Schere immer weiter auf. Die Printauflagen sinken und sinken und gleichzeitig holen sich immer mehr Menschen ihre Informationen kostenlos aus dem Internet. Manche Zeitung reagiert mit E-Paper und verbrennt dort noch mehr Geld. Ursachenforschung wäre mal angebacht, statt sich die Lage schönzureden.
Dann nämlich würde man zum Beispiel sehen, warum E-Paper nichts bringt: Weil es sperrig ist, weil es eine Verschlecherung gegenüber der “mobilen” Zeitung darstellt. Und weil es meist genauso teuer ist wie die gedruckte Ausgabe.
Aber die Gründe liegen noch tiefer: Zeitungen versuchen immer günstiger zu produzieren, die Agenturhörigkeit ist der Agenturhoheit gewichen. Immer weniger Journalisten schreiben immer weniger eigene Geschichten. Der gemeine Leser bekommt in jeder Zeitung das Gleiche vorgesetzt – das Lokale mal ausgenommen.
Information früher war: Die Tagesschau gibt um 20 Uhr einen Überblick übers wichtige Geschehen, den Rest erledigt die Zeitung am nächsten Tag. Informationsarbeit geschah demnach um 20 Uhr abends und irgendwo zwischen 6 und 9 Uhr morgens.
Information heute ist: Im Bad hören wir die aktuellen Nachrichten im Radio, manchmal sehen wir auch schon Frühstücksfernsehen. In der Bahn lesen wir die Zeitung – oft schon die, die wir auch für unseren Job als Informationsquelle bauchn, also Special interest. Manche hören bereits Podcasts oder schauen sich einen Videofilm an. Im Büro haben wir Internetanschluss und versorgen uns tagsüber mit SpOn und anderen. Themen, die uns besonders interessieren, haben wir als Googlealert oder RSS-Feed – oder der Kollegen schickt mir einen Link. Am Abend analysieren wir gemeinsam mit Sabine Christiansen und anderen die politische Lage.
Sag mir bitte einer, wofür ich das klassische erste Buch einer Tageszeitung mit Agenturberichten vom Vortag brauche?
New Yorker-Schreiber Ken Auletta, der neulich im Interview mit Eric Schwartzman von ontherecord.com zur Zukunft befragt wurde, sagte einen wahren Satz: Noch immer haben die Printleute es nicht geschafft, ein Businessmodell für ihre Internetaktivitäten zu finden.
Die Zukunft von Print liegt in Print – aber auch im Internet.
Ein paar Thesen:
Print sollte wesentlich mehr eigenen Content liefern
Print sollte weniger Agenturen verwenden
Print braucht mehr und bessere Bilder
Print muss lokaler sein
Viele kleine Leserzielgruppen machen am Ende eine große Leserschaft
Print muss versuchen, die Informationshoheit wiederzuerlangen – und zwar gegen Geld
Hauptthese: Infos gibt es im Internet nur noch gegen Kohle: Dafür aber muss man endlich auf der gesamten Klaviatur des Internets spielen. Wer ein E-Abo hat, bekommt nicht eine PDF-Zip-Datei als E-Paper, sondern eine elektronische Zeitung. Er wählt zwischen Kurznachrichten fürs mobile Device, einer Langtextfassung, einer interaktiven Fassung mit Anbindung an Weblog und Mediendatenbank. Reporter der Tageszeitung bringen von ihren Terminen Fotogalerien mit, Audiomitschnitte undVideos. Videos können auf der Webseite angeschaut werden und gegen Geld werden sie auch zweitverwertet und als Download angeboten. Dafür ist die Verwendung von >Zeitungs-Texten auf eigenen Homepages und Blogs frei – solange Autor und Quelle angegeben werden. Der Kommentar weicht dem Blog, das der Chefredakteur und die Redaktionsleiter verfassen – und so auch ins Print wandert.
Konsumenten sind nicht dumm. Sie wollen sich mehr denn je mit Produkten und Produktwelten identifizieren. Die Zeitung war dereinst deshalb erfolgreich, weil sie a) Informationshoheit hatte und b) eine hohe Glaubwürdigkeit. a) ist so gut wie weg und b) schwindet auch, weil ja andere auch Informationen liefern, die richtig sind – und umsonst.
Also muss Print versuchen, endlich wieder den Leser zu entdecken, ihn ernst zu nehmen, Stellung zu nehmen und mit dem Leser in Diskurs zu kommen, ihn einzubinden in die Informationsverarbeitung. Wenn man so will muss die Tageszeitung eine Art “Informations-Event” werden, ein Handelsplatz für Informationen, auf dem die Informationen ausgetauscht, aufgewertet und weitergegeben werden – und zwar jeweils dem Medium entsprechend. Wahlergebnisse gibt es in Echtzeit im Internet, Kurzmeldungen per SMS und E-Mail, erste Analysen schon um Mitternacht. In der Zeitung dann die spannenden Interviews, hartnäckig nachgefragt statt “Glückwunsch zum Wahlsieg Herr Minister”. Fotos, die nicht nur die strahlenden Sieger als Chronistenpflicht zeigen, sondern Bilderserien vom Wahlabend, die dem Begriff Fotojournalismus gerecht werden.
Dann hat Print auch eine Zukunft.